Donnerstag, 16. Februar 2012

Ein Besuch im Gerichtsmedizinischen Institut in Dortmund

Als die Autorin Renate Behr damit begann, Regionalkrimis zu schreiben, wollte sie mehr Hintergrundwissen erwerben. Sie machte sich einen Termin im Gerichtsmedizinischen Institut in Dortmund. Eigentlich sollte es nur ein Gespräch mit dem leitenden Pathologen werden, aber es kam anders ...


Ich habe nach einer neuen Herausforderung gesucht und ich habe sie gefunden. Ich schreibe eine Serie von Regional-Krimis.
Nun kennt ja fast jeder die einschlägigen Krimiserien im Fernsehen, überwiegend aus den USA, die sich mit Spurensicherung und Gerichtsmedizin befassen. Und manches von dem, was dem interessierten Zuschauer da vorgesetzt wird, erschien mir doch reichlich unglaubwürdig.
Da ich bei allem, was ich schreibe, immer großen Wert darauf lege, eine gute Recherchearbeit zu leisten, habe ich mich an die Kreispolizeibehörde in Unna gewandt und mir einige wichtige Informationen über die Arbeit der Kriminalpolizei – insbesondere bei Kapitalverbrechen und Tötungsdelikten – verschafft. Daraus ergab sich der Kontakt zum Leiter des Gerichtsmedizinischen Instituts in Dortmund, Herrn Dr. Zweihoff. Nach einem regen E-Mail-Verkehr und einigen Telefonaten lud Herr Dr. Zweihoff mich ein, ihn in der Gerichtsmedizin zu besuchen.
Am Freitag, 27.2.2009, war es dann soweit. Ein wenig mulmig war mir schon, denn Herr Dr. Zweihoff hatte mir am Telefon angekündigt, dass ich bei einer Obduktion zugegen sein sollte. Er empfing mich gut gelaunt vor seiner Bürotür und forderte mich auf, ihm in den Obduktionstrakt zu folgen. Dort wartete bereits eine Mitarbeiterin der Kriminalpolizei Dortmund auf ihn, die seine Meinung zu einer Person mit Stichverletzung haben wollte, die zurzeit in einem Dortmunder Krankenhaus behandelt wurde. Während Herr Dr. Zweihoff noch mit der Kripo-Beamtin sprach, wurde im Nebenraum der zu obduzierende Leichnam vorbereitet.
Ich habe mich zunächst einmal ein wenig abseits der weit geöffneten Tür aufgehalten, relativ nah an der im Nebenraum aufgestellten Liege. Man kann ja nie wissen. Aber es war bei weitem nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Und relativ rasch kam dann auch der erste Spruch von Herrn Dr. Zweihoff:
„Also, wenn Sie da hinten stehen bleiben, können Sie aber nicht viel von dem sehen, was ich hier mache.“
Es handelte sich bei dem Toten um einen 68jährigen Mann. Die Obduktion war auf Wunsch der Ehefrau angeordnet worden, die einen ärztlichen Fehler bei der Behandlung ihres Mannes vermutete, der zum Tod geführt haben sollte. Hintergrund war, dass der Mann wegen eines Knöchelbruchs zunächst stationär behandelt worden war. Nach seiner Entlassung nach Hause hatte der behandelnde Chirurg die Thrombose-Spritzen absetzen lassen. Der Gerichtsmediziner sollte nun herausfinden, ob sich aufgrund dieser Tatsache nachweisen ließe, dass der Mann deshalb an einer Lungenembolie gestorben sei.
Und obwohl in diesem Fall ja das Hauptaugenmerk auf der Lunge liegen sollte, wurde eine komplette Obduktion vorgenommen. Eine komplette Obduktion bedeutet in einem solchen Fall, dass zunächst einmal der Schädel geöffnet und das Gehirn entnommen wird. Der Hohlraum im Schädel wird mit Papiertüchern gefüllt, die Schädeldecke wird wieder vernäht und schon nach kurzer Zeit kann ein Laie anhand des Kopfes schon nicht mehr erkennen, dass überhaupt etwas mit dem Mann passiert war.
Danach wurde ein langer Schnitt vom Schambein bis zum Hals ausgeführt und alle inneren Organe wurden freigelegt. Jedes einzelne Organ wurde entnommen, vermessen und gewogen. Außerdem wurden von jedem Organ Gewebeproben entnommen, die in ein Glas gelegt wurden, falls spätere Untersuchungen notwendig sein sollten. Was mich ein wenig wunderte war, dass alle Gewebeproben in demselben Glas aufbewahrt wurden. Auf meine Frage, ob es denn im Nachhinein dann noch problemlos möglich sei zu erkennen, von welchem Organ genau diese kleine Probe sei, meinte Herr Dr. Zweihoff nur lakonisch lächelnd: „Was glauben Sie, wofür ich Medizin studiert habe?“
Alle Organe, die dem Patienten zuvor entnommen worden waren, wurden in einer großen Plastiktüte gesammelt. Diese Tüte wurde später wieder in den Bauchraum des Patienten gelegt und danach wurde der Schnitt mit großen Stichen und Nahtmaterial, das mich persönlich eher an Packband erinnert hat, zusammengenäht. Während der gesamten Obduktion sprach Herr Dr. Zweihoff alle Untersuchungsergebnisse auf ein Diktiergerät und dabei legte er ein Tempo vor, dass mich die Dame, die das würde schreiben müssen, keineswegs beneiden ließ.
Anschließend hatte ich noch die Gelegenheit, Herrn Dr. Zweihoff einige für mich wichtige Fragen zu stellen. Dabei zeigte sich, dass wirklich vieles, was uns im Fernsehen gezeigt wird, nicht der Realität entspricht. So ist es zum Beispiel bei einem Verbrechensopfer immer so, dass die Kriminaltechnik (KTU) bei der Obduktion anwesend ist, um auch möglicherweise verdeckte Spuren zu sichern. In vielen Fällen, insbesondere wenn die Todesursache nicht eindeutig ist, ist auch ein Vertreter der Staatsanwaltschaft dabei.
Und längst nicht bei jedem Leichenfund ist ein Gerichtsmediziner auch mit am Tatort. Wenn zum Beispiel klar ersichtlich ist, dass Leichenfund- und Tatort ein und dasselbe sind und auch die Todesursache, wie z.B. bei Schuss- oder Stichverletzungen von vorn herein feststeht, dann sieht der Pathologe den Leichnam meistens erst im Gerichtsmedizinischen Institut.
Auch eine genaue Bestimmung des Todeszeitpunktes ist meistens erst bei der Obduktion möglich.
Später erzählte Herr Dr. Zweihoff mir noch, dass es die sonderbarsten Bewerbungen gäbe, weil es ganz offensichtlich nicht jedermann bekannt ist, dass ein Pathologe auf jeden Fall ein abgeschlossenes Medizinstudium benötigt. Selbst Hauptschüler hatten ihm schon geschrieben, dass sie gern eine Ausbildung zum Gerichtsmediziner absolvieren möchten.
Nach etwa eineinhalb Stunden habe ich das Gerichtsmedizinische Institut wieder verlassen. Ich war ziemlich stolz auf mich, dass ich nicht umgefallen war und ich bin sicher, dass mir die Informationen, die ich von Herrn Dr. Zweihoff erhalten habe, beim Schreiben meiner Kriminalromane eine wertvolle Hilfe sein werden.

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